
Was ist Lebensfreude, oder joie de vivre, wie die Franzosen sagen? C’est si simple.
Wenn ich morgens mit dem Hund einen ersten Atemzug Kiefernparfüm einatme, den weichen Waldboden unter meinen Füssen spüre, die Immortellen rieche, die Wellen der nahen Flut höre und die ersten Sonnenstrahlen mich wärmen, dann ist Lebensfreude garantiert.
Ferien am Meer oder Vive les vacances!
Meer bedeutet für uns Atlantik. Nach einem Versuch in der Bretagne, wo das Wasser und die Luft für uns zu kalt sind, kann das nur irgendwo an der Küste zwischen Nantes und Bordeaux sein.
Der Campingplatz sollte alt sein, beschattet von hohen alten Bäumen, am liebsten Kiefern oder Pinien, trotz des Harz, das unser Auto verschönt. Möglichst ausgestattet mit viel Grün, Blumen und Büschen, die die Plätze markieren. Dann stellt sich Lebensfreude quasi wie von selbst ein. Diskos, Swimmingpools, Mobil-Homes und Animateure sind dabei eher hinderlich.
Die Vorfreude

Was gibt es spannenderes als nach Ankunft auf dem Platz und dem notdürftigen Einrichten der sieben Sachen, die man so mit sich führt, die Badesachen zu packen, nebst Sonnenschirm und Wasserflasche und los zu stürmen ans Meer.
Wie sieht es heute aus?Hast du den Tidenkalender dabei, ist Flut oder Ebbe? Gibt’s heute hohe Wellen?
Der Moment auf dem Gipfel der Düne, der erste Blick aufs Wasser, ein Anblick auf den wir uns ein ganzes Jahr gefreut haben: köstlich. Das Wasser ist immer noch so blau, und der Wind bringt seinen Duft in unsere Nasen. Der Sand ist warm, und es gibt nur wenige Menschen am Strand.
Spätestens ab dem 25. August, wenn die Franzosen sich in ihre Rentrée begeben, gehört das Meer uns und ein paar verstreuten Ausländern; die französischen Rentner kommen erst später im Jahr zu ihren Spaziergängen.
La Mer

Jeder Tag bringt Neues, wir lassen uns gern überraschen: nicht nur die wechselnden Gezeiten, sondern Wind und Sonne sind immer anders.
An den Tagen ohne Sonne hat das Meer die schönsten Grüntöne der Welt und den Horizont zu suchen ist gar nicht immer leicht. Die Inseln, manchmal sind sie zu sehen, riesig und steil, wie die Felsen von Dover und dann machen sie sich tagelang aus dem Staub und bleiben verschwunden.
Die Lebensfreude mit anderen teilen

Und auf dem Platz: was gibt es erfreulicheres als glückliche Mitbewohner zu sehen, auch wenn’s mal kracht, der Hund bellt und die Kinder nicht brav sind. Das beste daran ist, dass es kaum Unterschiede macht, wer im Zelt und wer im teuren Wohnmobil haust, alle sehen zerzaust und glücklich aus. Und wenn nicht, fahren sie bestimmt am nächsten Tag weiter auf einen vermeintlich besseren Platz.
Apropos Kinder: sie finden immer in kürzester Zeit andere Kinder mit denen es mehr Spaß macht als mit den doofen Eltern, die immer nur Apéritif mit den Nachbarn trinken müssen und eh zu viel schwätzen.
Auch der Hund kommt auf seine Kosten, spätestens wenn sich der Campingplatz ordentlich geleert hat, darf er bei Federball mitspielen. Federball zu dritt geht so: sobald der fedrige Ball (Federn am Ballrand sind ganz wichtig) nicht getroffen wird und runterfällt, beginnt das Wettrenen um das kleine Teil. Wenn es der Hund erwischt, geht’s auf eine wilde Jagd quer durch den Campingplatz um Bello den Ball wieder abzujagen, was unserem Goldstück sehr gefällt und uns in Form hält. Bewegung garantiert Lebensfreude.
Glückliches Frankreich!

Wenn am Ende der Sommerferien das intellektuelle Leben in Paris wieder beginnt, dann komme ich (F) voll auf meine Kosten: France Culture, so man das Glück hat, den Sender einigermaßen hörbar hinzubekommen (Aufgabe für D).
Da sitzen dann zeitgenössische Philosophen im Studio und diskutieren zwei Stunden live mit den Gästen an einer „grande table“ ihre frisch erschienenen Werke.
Das Programm gibt es jeden Tag, und der Gesprächsstoff geht nie aus. Witzig auch Cohn-Bendits deutschen Akzent zu hören, wenn er mal wieder eingeladen wurde, meist zu Themen über Europa oder Deutschland, wen wundert’s. Spritzig sind auch die stundenlangen Gespräche mit einem Experten zu tiefgründigen Spezialthemen.
Neuerdings sind die Journalisten meist super ausgebildete junge Frauen, und der Interviewte häufig ein alter Mann, der mit krakeliger Stimme souverän sein Thema und alle Fragen dazu mit Altersmilde an die Hörer bringt. Wann hätte ich je gelesen, geschweige denn verstanden, daß schon Tocqueville in seiner Analyse der Demokratie in Amerika besorgt festgehalten hat, dass Freiheit und Gleichheit leider unversöhnliche Antagonisten sind.
Zum Glück gehen auf einem Campingplatz Freiheit und Gleichheit eine friedliche Verbindung ein.