
Alles muss heute gleich sein, alle müssen das Gleiche haben, alle wollen das Gleiche, womöglich gleich, alles läuft auf Gleichmacherei hinaus. Wieso eigentlich? Und was bewirkt der Schlachtruf: vive la difference!
Ich bin unterwegs. Diesmal am „Ende“ der Welt. Ich stehe an der Westküste in Frankreich. Mein Blick richtet sich gen Amerika, im Rücken das alte Europa. Das Gewohnte fühlt sich irgendwie fremd an, und die Gedanken sind andere als sonst.
Also wie ist das mit der Gleichheit?
Tocqueville schrieb 1835/40 in seinem Buch „De la Démocratie en Amérique“, dass das Streben nach Gleichheit die Triebfeder in der Geschichte der westlichen Zivilisationen sei – und hat zeitlebens davor gewarnt, durch ein hemmungsloses Gleichheitsstreben die Errungenschaften der Freiheit aufs Spiel zu setzen.
Gleichheit und Freiheit sind Antagonisten, sie vertragen sich nicht. Wenn alle gleich sind und alles gleich ist, bleibt die Freiheit auf der Strecke.
Denn Freiheit bedeutet, es gibt Individuelles, es gibt Optionen.
Und die sind natürlich unterschiedlich, für jeden einzelnen von uns.
Unterschiede bedingen erst Freiheit.
Sie sind Gegenspieler von dem „Wir-müssen-alle-gleich-sein“ Glauben – vive la difference.
Egalité

Gleiche Karrierewege, gleiche Kinder Betreuungsansätze, gleiche Schulbildung – (fast) alles läuft darauf hinaus, Gleichheit um jeden Preis herzustellen. Für viele ist das der ultimative Fortschritt.
Und was ist der Preis dafür? Hatte Tocqueville doch recht mit seiner Prophezeiung, dass in Amerika alle
„denselben Ausgangspunkt haben…dieselbe Bildung, dieselbe Sprache, dieselbe Religion, dieselben Gewohnheiten und dieselben Sitten“.
Zum Glück (noch) nicht, aber kleine Anzeichen sind erkennbar. Heute müssen alle Abitur haben, jeder sollte studieren, wir alle müssen und sollen immer glücklich und gesund sein …
Und was sind die Konsequenzen daraus?
Der alltägliche Streß der Gleichmacherei, der Regulierung aller Lebensbereiche, Endindividualisierung, Entfremdung, Langeweile und Enttäuschung.
Nicht immer ist die Freiheit das Ziel unserer Wünsche.
Jedenfalls glaubte das Tocqueville. Die Menschen liebten natürlich immer schon die Freiheit – das wesentliche und ständige Ziel ihrer Wünsche aber war sie nicht. Gefährdet wird die Demokratie durch eine
„entartete Gleichheitssucht, die die Schwachen reizt, die Starken auf ihre Stufe herabzuziehen; sie verleitet die Menschen, einer Ungleichheit in der Freiheit die Gleichheit in der Knechtschaft vorzuziehen“.
Und das scheint nicht nur für Gesellschaften oder politische Systeme zu gelten, sondern auch für intimere Gemeinschaften, wie Paarbeziehung und Ehe.

Wie ist das Verhältnis von Gleichheit und Freiheit in der Paarbeziehung?
Eine der Hoffnungen der Französischen Revolution war durch die Schaffung einer Kultur der Gleichheit und Brüderlichkeit, negative Gefühle wie Neid, Missgunst und Hass auszuschließen und sie letztendlich aus der Welt zu schaffen.
Doch paradoxerweise ist es heute eher so, dass je mehr Gleichheit herrscht, umso mehr schärft sich das Bewusstsein für Ungleichheit. Wir sind in unseren Wahrnehmungen gepolt auf das zu achten, was andere haben oder nicht haben, was andere sind oder nicht sind.
Wir vergleichen uns.
Und machen damit Tür und Tor auf für Leid und negative Gefühle. Wenn andere mehr haben oder mehr sind, erleben wir dies (oft) als ungerecht. Warum hat das der andere oder warum ist der andere so (schön, reich, glücklich)? Und ich nicht. Wo ich doch auch ein Recht darauf habe.
Und wenn ich dann in einer Paarbeziehung lebe, kann das Ganze ziemlich kompliziert werden. Erstens ist der andere anders als ich, zweitens ist er/sie unterschiedlich (merkt man meistens erst nach der romantischen Phase), und drittens muss das alles noch irgendwie gerecht verhandelt werden (Sprechen und Zuhören): Ansprüche, Erwartungen, Enttäuschungen, Verletzungen.
Da ist es ja fast schon ein Wunder, wenn Menschen heute noch die Lebensform einer Partnerschaft wählen.
Eine Paarbeziehung, in der Gleichheit und Gleichberechtigung herrscht, ist für viele erstrebenswert. Diese Errungenschaft der Frauenbewegung hat selbstverständlich ihre Berechtigung und das muss man anerkennen.
Aber alles hat seine zwei Seiten, auch der Fortschritt hat seine Nebenwirkungen.
In einer Kultur der Gleichheit werde ich zwangsläufig mehr nach den Unterschieden suchen, und die zeigen mir dann gnadenlos die Ungleichheiten auf. Und dann fängt die Arbeit an: denn Unterschiede zu erkennen und zu ertragen fällt schwer. Unterschiede stehen lassen und annehmen, fällt besonders schwer.
Das aber ist Freiheit.
Meine, Deine und dann
Unsere.

Es lebe der Unterschied – vive la difference
Die Tatsache, dass es Mann und Frau gibt, ist eine der einfachsten und zugleich wunderbarsten Antworten, die uns die Natur und das Leben schenkt: es gibt einen Gegenspieler bzw. eine Gegenspielerin.
Beide sind ein bißchen gleich, und beide ganz verschieden.
Das Fremde zieht mich an und macht mich neugierig.
Erst in der Beziehung zum Anderen und zur Anderen erlebe ich wer ich bin und wer ich werden kann.

„Hallo, komm, wir müssen los!“
Ein Ruf, der mich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurückholt.
Also, was man nicht so alles denkt. Das liegt wahrscheinlich am Salzgehalt der Meeresluft.
„Jaha, ich komme – gleich.“