Nicht nur in diesen Tagen lohnt es sich, Adler mal wieder zu lesen. Adler regt an und er beruhigt zugleich; man lernt einiges über sich selbst und über andere. Sein Werk hat uns noch fest im Griff. Hier ein paar Gedanken zu dem Thema die Liebe ist eine Aufgabe für zwei Menschen, aus seinem Buch „Wozu leben wir?“
Die Liebe ist eine Aufgabe für zwei Menschen
Hier das Zitat welches sein Denken über Partnerschaft besonders gut beschreibt:
„Die Liebe ist eine Aufgabe für zwei Menschen. Für viele Menschen ist das unvermeidlich etwas Neues. Wir wurden bis zu einem gewissen Grad dazu erzogen, allein zu arbeiten; bis zu einem gewissen Grad haben wir gelernt, in einer Mannschaft oder in einer Menge zu arbeiten. Wir haben im allgemeinen wenig Erfahrung im Arbeiten zu zweit. Diese neue Lage enthält deshalb eine Schwierigkeit; aber sie wird sich leichter bewältigen lassen, wenn die beiden Leute sich schon immer um ihre Mitmenschen gekümmert haben; sie lernen dann leichter, sich umeinander zu kümmern. Wir könnten auch sagen: Damit diese Zusammenarbeit in dieser Gemeinschaft zu zweien gelingt, muß jeder von beiden mehr an den anderen denken als an sich selbst. Dies ist die einzige Grundlage, auf welcher Liebe und Ehe erfolgreich sein können.“
Adler war der Meinung, dass wir wenig geübt sind, zu zweien zu arbeiten. Wir sind vielmehr gewohnt alleine zu arbeiten oder manchmal auch in Teams. Die Arbeitswelt wurde erst erfolgreich durch die Arbeitsteilung. Und der Mensch kann nur als Mitglied in einer Gruppe überleben. Deshalb ist für Adler das Leben in der Gemeinschaft das höchste menschliche Gut, die höchste Wahrheit.
Er sieht, dass die Mehrheit der Probleme der Menschen durch die Konflikte zwischen individuellem Minderwertigkeitsgefühl und angeborenem Gemeinschaftsgefühl entsteht. Auch ist Adler überzeugt, dass jeder Mensch einem unbewussten Lebensplan.folgt.
Den eigenen Lebensstil wählen
In der Kindheit entwickeln wir unter dem Einfluss der Umwelt, aber auch aus eigener schöpferischer Kraft heraus, eine individuelle Lebensstrategie: Wir wollen alle einen Platz in der Welt erobern. Und wir brauchen die Aufmerksamkeit der anderen, um unserem Selbst einen Wert zu geben. Wir bilden uns eine Meinung über uns selbst, über unsere Mitmenschen und die Welt um uns herum. Jeder von uns sucht dabei nach persönlichen, uns geeignet erscheinenden Strategien, Mitteln und Wegen.
Nach Alfred Adler wählt jeder Mensch seinen Lebensstil selbst. Deshalb gibt es so viele Lebensstile wie es Menschen gibt. Das macht das Leben ungemein facettenreich und interessant. Aber erschwert uns den Umgang mit unseren Mitmenschen im beruflichen und privaten Alltag. Jeder Einzelne «funktioniert» halt auf seine Art und Weise.
Gegenseitige Fürsorge tut Not
So können wir Adlers Sicht besser verstehen. Wenn zwei Menschen sich verlieben, stellt sich früher oder später die Frage, wie es mit Ihnen als Paar weiter gehen wird. Wird es auf eine fruchtbare Zusammenarbeit hinauslaufen oder wird es eher zu Streit, Konkurrenz und Kampf kommen? Was wird siegen? Der kindliche Anspruch – nur so wie ich es will ist es richtig? Der andere soll mir gefälligst folgen und sich um mich kümmern. Oder die Einsicht, dass ein Miteinander und die Anteilnahme Beiden mehr dient?
Nach Adler liegt die Antwort auf der Hand. Die gegenseitige Fürsorge ermöglicht erst die Balance und das Aushandeln in der Zusammenarbeit. Je mehr jeder von uns gibt umso mehr bekommt jeder zurück. Das widerspricht den kindlichen Erwartungen an den anderen. Wir wollen zuerst geliebt werden. Wir fordern unentwegt Liebesbeweise ein. Erst wenn wir ganz sicher sind, dass wir geliebt werden, lieben wir auch zurück, und meinen, das sei besonders klug. Sicherheit und Abwarten rangiert vor Vertrauen.
Was uns immer wieder schwerfällt ist das Bemühen, mehr an den anderen zu denken als an uns selbst.
Gleichwertigkeit ist die Zauberformel
Und weiter lesen wir bei Adler:
„Wir können nun schon sehen, inwiefern viele Meinungen über die Ehe und viele Vorschläge zu ihrer Erneuerung falsch sind. Wenn jeder Partner um den anderen mehr besorgt sein muß als um sich selbst, muß Gleichheit herrschen. Wenn eine so innige Hingabe wirklich besteht, kann sich kein Partner unterdrückt oder in den Schatten gestellt fühlen. Gleichheit ist nur möglich, wenn beide Partner diese Einstellung haben. Jeder sollte sich bemühen, das Leben des anderen zu erleichtern und zu bereichern. Auf diese Weise ist jeder sicher. Jeder fühlt, daß er erwünscht ist, jeder weiß, daß er gebraucht wird. Hier haben wir die grundlegende Bürgschaft der guten Ehe, den letzten Grund dafür, daß man in dieser Beziehung glücklich sein kann. Es ist das Gefühl, daß man dem Partner etwas bedeutet, daß man nicht ersetzt werden kann, daß der Partner einen braucht, daß man das Rechte tut, daß man Mitmensch und wahrer Freund ist.“
Adler geht es hier nicht um Gleichheit. Im Original von 1931 steht das Wort Gleichwertigkeit anstatt Gleichheit. Jeder Mensch ist einzigartig. Geschlecht, Alter, Kenntnisse, Erfahrung, Aussehen – keine zwei Menschen sind genau gleich.
Gleichwertigkeit bedeutet den Wert des anderen zu sehen und zu schätzen, obwohl er oder sie ganz anders ist als ich. Das gelingt, wenn wir uns aus der eigenen Ichzentriertheit lösen und bereit und mutig sind, das WIR zu suchen.
Die Liebe ist eine Aufgabe für zwei Menschen mit dem gemeinsamen Ziel, glücklich zu sein. Oder anders ausgedrückt, erst wenn wir das Gefühl haben für andere nützlich zu sein, fühlen wir uns glücklich und aufgehoben.
Das ist ansteckend!
Literatur:
Adler, Alfred. Wozu leben wir? 1931. (Fischer Taschenbuch 1979)
Kishimi, Ichiro & Koga, Fumitake. Du bist genug. 2020 (Rowohlt Taschenbuch)