Reisen bildet, so heißt es. Dass aber Reisen auch die Paarbeziehung bildet, sogar formen und gestalten kann, und die Beteiligten schwer fordert, hatten wir so nicht auf dem Schirm. Unser heutiger Text geht daher der Frage nach: Warum Reisen gut für die Paarbeziehung ist.
Wir fahren mal wieder quer durch Frankreich. Da drängt sich die Suche nach der Antwort wie von selbst auf.
Endlich fort, endlich dem Alltag entfliehen, endlich unterwegs, endlich frei. Dann aber kommt sehr schnell das Gefühl auf, mehr angespannt, mehr genervt, und mehr verunsichert zu sein. Ich hätte es wissen müssen, doch es überrascht mich immer wieder. Wenn man unterwegs ist, ist vieles neu, unbekannt und ungewiss.
Da ist zwar gut für das Durchmischen alter Muster und Gewohnheiten. Aber es macht auch Angst, man wird schnell verunsichert und macht manchmal die verrücktesten Sachen.
Auf den Spuren Marcel Prousts
F. wollte schon immer nach Illiers-Combray, und so machten wir einen Umweg auf unserer Fahrt ans Meer. Combray, ein fiktiver Ort, in dem Marcel Proust als Kind seine Ferien verbrachte. Im ersten Band seiner Recherche beschreibt er mit allen Sinnen diesen Ort, seine Häuser und Plätze, seine Menschen und ihre Geschichten und die Tage der Kindheit mit ihren Ängsten und Erwartungen.
Frankreich ehrt seine Großen. Im Falle von Proust wurde dem Provinzstädtchen Illiers, dem Geburtsort des Vaters von Proust, der fiktive Beinamen Combray hinzugefügt. Er liegt zwischen Paris und Le Mans, etwa 80 km südlich von Chartres.
Auf all unseren Urlaubsreisen durch Frankreich lag weder Chartres noch Combray auf unseren Wegen. Es brauchte also D., der mir eine Freude machen wollte und trotz meiner Einwendungen entschied, dieses Jahr legen wir unseren Reiseweg an den Atlantik über Combray.
Auf der Suche …
Mitte August kommen wir bei peitschendem Regen in einem verlorenen Provinznest an. Keine Schilder, kein Hinweis auf ein Museum oder ähnliches sind zu finden. Durch enge verwinkelte Gassen suchen wir unseren Weg zu einem Parkplatz. Er wird gefunden, erstaunlich groß und kein Auto weit und breit zu sehen.
Ein Office de Tourisme, wie in vielen kleinen Orten, ist geöffnet und eine freundliche Rentnerin empfängt mich. Ja, es gibt ein kleines Museum, La Maison de Tante Léonie. Leider kann mir die Dame nicht sehr gut den Weg erklären, also renne ich, in dünnem Hemd und kurzen Hosen – am Vortag herrschten 35 Grad in Chartres – nur bewaffnet mit einem alten Schirm durch ein verlassenes Örtchen, keine Menschen auf den Straßen, vorbei an alten, heruntergekommenen, verschlossenen Häusern auf der Suche nach der verlorenen Zeit Prousts. Er hat den Ort aus den Jahren um 1880 schon als alt, grau und triste beschrieben. Ich finde am Orts Ende ein paar Raucher vor einer Art Bar, die mir den Weg zurück erklären.
…nach La Maison de Tante Leonie
Völlig durchnäßt und frierend komme ich im Hause der Tante Léonie an, und habe leider die letze Führung verpasst. Die sechs älteren Franzosen sind schon im Speicher angelangt, dem einstigen Ort der Bediensteten, um die Fotos der Familie und der Freunde zu betrachten.
Ich sause weiter, gehe durch ein altes staubiges Haus, mit dem Anspruch eingerichtet, einigermaßen der Zeit um 1900 zu gerecht zu werden. Es ist klein, dunkel und in den Augen von Marcel, der alles sieht und spürt, um uns viele Jahre später davon zu erzählen, erscheint es groß und voller Geschichten und ihrer Menschen.
Leider schwätze ich mich fest bei einer anderen Freiwilligen, die den Eingang des Hauses bewacht und blicke in ein Frankreich der 1950 Jahre, nicht nur in den staubigen Vitrinen sondern auch in den Augen der Dame, obwohl sie noch keine 50 Jahre alt sein kann. Wie ist es möglich, dass in der französischen Provinz, abseits der Touristenorte die Zeit so völlig stehen geblieben ist?
Wir fahren in Frankreich durch viele verlassene Orte, sehen wenig Menschen. Um die Häuser und Plätze hat sich seit Jahrzehnten niemand mehr gewandt. Uns erscheint dieses Frankreich wie ein lebendes Museum der Nachkriegszeit, alles was bei uns zerstört und verändert wurde ist unverändert erhalten geblieben. Bis auf neue Straßen und die Welt der Autobahnen erinnert es an Tatis Schützenfest aus dem Jahre 1949.
Die Wiedergefundene
Aber ich muss schnell weiter, denn D. wartet auf dem leeren Parkplatz. Ob er sich langweilt? Eine Boulangerie ist noch geöffnet, klein und muffig und ich kaufe schnell zwei Madeleines, alles andere sieht alt und trocken aus. Ich biege schnell um die Ecke und da ist sie: die von Proust so liebevoll beschriebene Kirche Sainte Hilaire. Sie erhebt sich groß und mächtig mitten im Ort, umringt von den kleinen Bürgerhäusern beherrscht sie auch heute noch Combray. Sie ist leer, groß und düster, aber prächtig und voller Bilder.
Ich mache schnell ein paar Fotos um zu meinem wartenden Mann zurück zu eilen. Ich treffe ihn mürrisch und wortkarg an. Ist er sauer weil ich so lange weg war? Ich habe mich doch wahrlich beeilt, oder? Alles ganz schnell gemacht. Komischerweise habe ich trotz meines Schnell-sein-Programms, das Gefühl, das Combray Prousts gefunden zu haben. Der Umweg hat sich gelohnt.
Warum Reisen gut für die Paarbeziehung ist
Nun, während F. das Museum besuchte, wollte ich unbedingt auf dem Parkplatz wenden (damit wir mit unserem Caravan wieder besser losfahren konnten). Sie meinte, da bräuchte man nichts unternehmen und wir könnten so stehenbleiben.
Männer wollen aber alles besser machen – also rangierte ich auf einem leeren Parkplatz solange hin und her, vorwärts und rückwärts, bis ich endlich den idealen Platz fand. Und dann machte sich plötzlich eine der wenigen Laternen (ich glaube es gab insgesamt nur zwei auf dem ganzen Parkplatz) bemerkbar – Rums, Krach. Die Wahrscheinlichkeit dieses Zusammentreffens steht einem Volltreffer im Lottogewinn in nichts nach, nur leider ohne Gewinn. Der Preis war eine demolierte Rückleuchte.
Ich hatte eine Stinkwut auf mich – und wo läßt man die los ?(am besten bei seiner Nächsten) Also Klappe halten (warum haben wir den Umweg nur gemacht, warum regnete es und warum gibt es Parkplätze mit Laternen und überhaupt …) und versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Hielt aber nicht lange.
Eine kleine Bemerkung von ihr in der Art, „fahr doch nicht so schnell“, brachte das Fass zum überlaufen und ich fauchte sie an. Sie fauchte zurück und dann war Eiszeit angesagt – Stille, die nagt und nagt und keiner sagt ein Wort.
Besser wird’s dadurch zwar auch nicht, aber der Schaden hält sich in Grenzen. Ein Muster von früher tauchte auf: Das „Wer hat Recht“ Muster. Wer ist dem anderen zu Dank verpflichtet? Wer verzichtet mehr? Wer hat mehr Ansprüche? Etwas, was sich im Alltag so kaum mehr bemerkbar macht. Eben, weil sich vieles eingespielt hat.
Später dann, als der Rauch sich verzogen hatte und ich wieder klarer sehen, sprich, denken konnte, kam die Einsicht. Ich kann Fehler nicht gut zugeben – Männer hört mehr auf eure Frauen. Wir genossen dann später die Madeleines gemeinsam bei einem Spaziergang.
Fazit
Wir haben alle unterschiedliche Erwartungen, Vorstellungen und Meinungen was uns und dem anderen gut tut. Die Frage ist nur, wie und in welcher Form äußere ich das. Denn dies hat Auswirkungen auf das Zusammenleben.
Vieles ist nicht so wie in der gewohnten Umwelt zuhause. Es muß neu verhandelt werden. Das bedeutet diskutieren, reden und zuhören (das hatten wir hier doch schon mal). Das ist anstrengend, sehr anstrengend und genau das, was man im Urlaub (nicht) braucht.
Warum Reisen gut für die Paarbeziehung ist – es sieht so aus, dass wir uns in unbekannten Kontexten ganz anders erleben. Nutzen wir also als Chance, Unterschiede auszuhalten, alten Mustern liebevoll zu begegnen und bereit zu sein um Neues zu lernen.